Ein deutsches Fox News droht

Author : 12blacknblue
Publish Date : 2020-12-27 01:08:01


Ein deutsches Fox News droht

Axel Cäsar Springer wollte zeitlebens ins Fernseh-Geschäft. Für einen einzigen Sender, sagte Europas mächtigster Verleger 1961, würde er alle seine Blätter verkaufen. Die Presse habe ein Anrecht auf das Fernsehen, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk torpediere das. Springers Chefredakteure wurden angewiesen, Material über die Machenschaften des Rundfunks zu sammeln, eine eigens eingerichtete Stabsabteilung hatte die Aufgabe, Munition für Kampagnen zu liefern, mit denen man die Volkswut auf die „Staatssender“ entfachen könne. Springer war nie zimperlich, wenn es um seine Interessen ging. Als der Spiegel das Bubenstück 1967 aufdeckte, war’s erst mal vorbei mit dem Verlegerfernsehen.

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Aber Springer gab nicht auf. Mal versuchte er, eine Sendelizenz in Liechtenstein zu ergattern, um von dort aus in die Bundesrepublik senden zu können, mal forderte er die Auslieferung des ZDF an die Verleger. Er mobilisierte seine Lobbyisten in den Parlamenten, trieb die Gründung der „Fernsehgesellschaft Berliner Tageszeitungen“ voran und wollte die NDR-Tochter „Studio Hamburg“ kapern. Doch alle Versuche, einen Fuß in die Tür zu bekommen, scheiterten an uneinsichtigen Politikern, an den Anti-Springer-Kampagnen von Spiegel, Zeit und Stern und an den Protesten der 1968er. Erst nach dem Ende des „roten Jahrzehnts“ schöpfte er wieder Hoffnung. 1981 beteiligte er sich an der Gründung der „Aktuell Pressefernsehen GmbH“, aus der im Januar 1985 der erste kommerziell betriebene Privatsender Sat1 hervorging. Dafür verbündete sich Springer sogar mit dem dubiosen Filmrechtehändler Leo Kirch. Gemeinsam wollten sie der „Linkslastigkeit“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etwas entgegensetzen. Kanzler Helmut Kohl förderte Kirch, Springer setzte auf Franz Josef Strauß. Doch der Aufbau eines Fernsehsenders, der mit ARD und ZDF konkurrieren konnte, würde mehr Geld verschlingen, als Springer hatte. Es brauchte einen Gang an die Börse.

Redaktion der Linkenfresser

Kurz darauf starb Axel Springer, und seine Erben waren erst mal überfordert. Statt des Alleinherrschers saßen jetzt Großaktionäre wie Kirch und Burda mit am Tisch und planten die feindliche Übernahme. Nur die Pleite Kirchs im Jahr 2002 verhinderte das. Der neue Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner und Haupterbin Friede Springer räumten das „Tollhaus Springer“ auf, entledigten sich des obersten Testamentsvollstreckers, erstickten alle Erbstreitigkeiten, kauften die Aktienmehrheit zurück und beschlossen, die TV-Pläne des Gründers wieder auf die Tagesordnung zu setzen. 2005 verkündeten sie, die Sendergruppe ProSieben/Sat1 für drei Milliarden Euro übernehmen zu wollen. Die Zeit fragte entsetzt: „Entsteht nach der Übernahme von ProSieben/Sat1 ein Medienkonzern, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch die Republik umkrempelt?“ Springer-Journalist Alan Posener keifte zurück: „Die angeblich seriöse Zeit vergleicht allen Ernstes Axel Springer mit Hitlers Steigbügelhalter Hugenberg; den Verteidiger der Republik mit dem Totengräber der Republik. (…) Das ist eine Beleidigung für jeden Journalisten, der bei Springer arbeitet oder gearbeitet hat.“

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 51/2020 vom 17.12.2020

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Natürlich würde man sich bei Springer viel lieber mit den alten Berliner Zeitungshäusern Ullstein, Mosse und Scherl vergleichen, was auch gar nicht so abwegig erscheint, doch der Hugenberg-Vorwurf klebt an Springer seit seinen Anfängen. Warnungen vor dessen geballter Macht äußerten bereits britische Presseoffiziere während der Besatzungszeit, später liberale und konservative Publizisten wie Sebastian Haffner, Gerd Bucerius, Rudolf Augstein oder Golo Mann, und – natürlich! – linke Schriftsteller wie Heinrich Böll oder APO-Größen wie Rudi Dutschke. Man muss sich auch gar nicht wundern darüber, beschäftigte Springer doch mit Vorliebe rechte Eiferer und Linkenfresser als Chefredakteure und Kommentatoren, von Matthias Walden über Wilfried Hertz-Eichenrode, Winfried Martini und Armin Mohler bis zum Querfrontler Hans Zehrer. Als Berater und Aufseher fungierten ehemalige SS-Sturmbannführer wie Horst Mahnke und Paul Schmidt-Carell. Springer förderte den rechtslastigen ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal und den rechtsgerichteten Bund Freies Deutschland, einen Vorläufer der AfD. Das Springer-Motto „Seid nett zueinander!“ galt nur für den unpolitischen Bereich, politisch dominierten die Feindbilder: die Ostzone, die Entspannungspolitik, die Mitbestimmung, das „Regime Brandt/Scheel“, die Gammler und der SDS.

Im Januar 2006 stoppte das Bundeskartellamt Springers Pläne, sich ProSieben/Sat1 einzuverleiben. Zu viel Marktmacht für einen, hieß es. Statt Springer kauften sich die US-Beteiligungsgesellschaften KKR und Permira bei Pro Sieben/Sat1 ein. Als dann auch noch das teure Engagement Springers beim Postdienstleister PIN Group in einem ökonomischen Desaster endete, musste man sich – wie es im Managementdeutsch heißt – „neu aufstellen“. Döpfner, ein begnadeter Schönredner vor dem Herrn, postulierte unter dem Eindruck des Erfolgs der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley einen „radikalen Wandel“. Er legte seine Manager-Krawatte ab und spielte nun den Game Changer, den Transformationsprediger, der das überlebte Traditionshaus Springer zum „führenden digitalen Medienunternehmen“ machen wollte, am besten gleich zum „Weltmarktführer für digitalen Journalismus“. 2013 kappte er die Wurzeln des Konzerns und verscherbelte fast alle Print-Titel an die Essener Funke-Gruppe. Es blieben Bild und Welt, an deren Markenkern allerlei Ableger, Start-up- und „Bewegtbild“-Projekte andockten. 2019 stieg „die Heuschrecke“ KKR auch bei Springer ein und sicherte sich fast die Hälfte der Anteile. Mit dieser „strategischen Partnerschaft“ glaubt Springer sich für den „Umbau“ gerüstet. Der Rückzug von der Börse soll den Wandlungsprozess noch beschleunigen. Als Döpfner am 6. Oktober das neue Springer-Hochhaus einweiht, sprechen viele bereits andächtig vom „gebauten Internet“.

Und die TV-Pläne? Interessant ist, dass ProSieben/Sat1 und Springer einen ganz ähnlichen Transformationsprozess durchlaufen. Springer unterteilt sein Geschäft in drei Segmente: den publizistischen Bereich (News Media), die digitalen Rubrikenmärkte für Immobilien, Autos und Jobs (Classified Media) sowie die Marketingsparte, die Unternehmen bei der Vermarktung hilft. In gleicher Weise verfährt ProSieben/Sat1: Neben dem Infotainment (News Media) existieren Verbraucherberatung und Partnervermittlung (Consumer Focused) und digitale Dienstleistungen für Dritte. „Wir sprechen nicht vom digitalen Wandel“, heißt es, „wir leben ihn, (…) um ProSieben/Sat1 zu einem diversifizierten Digital-Konzern zu machen. We are Game Changers.“

Doch Springer und ProSieben/Sat1 leiden auch unter den gleichen Problemen. Bei beiden verschieben sich die Gewichte von klassischen journalistischen Inhalten zu Handel und Dienstleistung. Die Grenzen zwischen Werbung und Journalismus verwischen, Inhalte werden oft nur produziert, um Produkte zu bewerben. Umsatztreiber sind die Rubrikenmärkte, während klassische Medien Verluste schreiben. Der entstehende Kostendruck bei wachsender Verschuldung führt zu verschärfter Konkurrenz – oder zu Fusionsfantasien.

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